Historikerteam veröffentlicht umfangreiche Studie über das Unternehmen Tengelmann im 3. Reich und in der Nachkriegszeit

Täter, Mitläufer oder gar Widerständler? Welche Rolle spielte der Unternehmer Karl Schmitz-Scholl jun., der „allein geschäftsführende Gesellschafter“ des Lebensmittelunternehmens Tengelmann in der NS-Zeit? Wie kam das Unternehmen durch die Kriegszeit, wie positionierte es sich nach dem Krieg? Drei Historikerinnen und der Jenaer Historiker Lutz Niethammer sind seit 2011 diesen und weiteren Fragen in einer aufwändigen Studie auf den Grund gegangen. Die Projektleitung hatte Prof. em. Dr. Lutz Niethammer inne, viele Jahre Zeithistoriker an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Die im Essener Klartext-Verlag erschienene Studie trägt den Titel „Tengelmann im Dritten Reich: Ein Unternehmen des Lebensmittelhandels und der Nationalsozialismus“.

Aus Angst vor der SA in die SS eingetreten

Die Arbeiten der Historikerinnen Dr. Karin Hartewig (Bovenden), Dr. Almut Leh (Hagen) und Daniela Rüther (Duisburg) ergeben zusammen mit dem Beitrag Lutz Niethammers ein ambivalentes Bild des Unternehmens wie des Unternehmers. Da ist zum einen der Unternehmer Karl Schmitz-Scholl jun., von dem sich in den Quellen „keine einzige antisemitische Äußerung“ finden lässt, der zum anderen schon frühzeitig in die Reihen der SS eintritt. „Kurioserweise trat Schmitz-Scholl in die SS ein, weil er Angst vor der SA hatte“, sagt Lutz Niethammer. Der Unternehmer habe sich darüber hinaus mit Fritz Weitzel angefreundet, dem ranghöchsten SS-Mann im Westen des Reiches. Im Gegenzug für Spenden an die SS genoss Schmitz-Scholl die Protektion durch Weitzel, der etwa Eingriffe der Deutschen Arbeitsfront ins Unternehmen abzuwehren wusste.

Das Unternehmen Wilhelm Schmitz Scholl/Emil Tengelmann expandiert nicht in die eroberten Länder, macht jedoch als Lieferant der Wehrmacht satte Gewinne in den Kriegsjahren. Ausgehend von den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs sind es insbesondere Fleischersatzstoffe, die in eigenen Produktionsstätten hergestellt werden. Diese „Westwall-Bouletten“ leisten ihren Beitrag, die kämpfende Truppe bei Kräften zu halten. Tengelmann wird als kriegswichtiges Unternehmen eingestuft, in der Produktion der Bratlinge kommen Zwangsarbeiterinnen zum Einsatz, vorrangig aus Polen und der Sowjetunion. Die immensen Gewinne der Kriegsjahre schmelzen jedoch rasch wieder dahin: zunächst durch die Verluste im Bombenkrieg, später durch Enteignungen in der sowjetisch besetzten Zone.

Die Tengelmann-Filiale Mühlheim während des Krieges. (Foto: Unternehmensarchiv Tengelmann)
Die Tengelmann-Filiale Mühlheim während des Krieges.
(Foto: Unternehmensarchiv Tengelmann)

„Der Einsatz von Zwangsarbeitern hielt sich im Vergleich zu anderen Unternehmen in Grenzen“, sagt Lutz Niethammer. Belegen lässt sich, dass zeitweise um die fünf bis sechs Prozent der Belegschaft in den Tengelmann-Produktionsstandorten zwangsweise eingesetzt worden war. Dabei seien durchaus mehr Arbeiterinnen angefordert worden, doch andere Firmen, vor allem in der Rüstung, wurden bevorzugt. Lutz Niethammer betont, dass die absoluten Zahlen mit Vorsicht zu genießen seien, weil die Quellenlage recht dürftig war. Stattdessen habe das Team seine Studie „von den Rändern her“ erarbeitet, sich mühsam verwertbare Quellen erschließen müssen. So wurde die Familienchronik der Unternehmer herangezogen, das Fotoarchiv und die Biographie von Karl Schmitz-Scholl jun. ausgewertet. Dennoch blieben Lücken, weil zahlreiche Unterlagen im Krieg vernichtet wurden. Etwa die Geschäftsberichte, von denen nur der für 1941/42 erhalten blieb.

Das Unternehmen selbst regte die Studie an und finanzierte sie

Ambivalent bleibt auch die Verstrickung von Tengelmann in die sogenannte Arisierung. Zwei Fälle sind dokumentiert. Einmal ging es um eine Filiale, die im Hause einer Jüdin eingemietet war. Im zweiten Fall profitierte der Mann der Schmitz-Scholl-Schwester Elisabeth von der „Arisierung“ eines jüdischen Juweliers. Wobei Elisabeth Haub, die 1933 zusammen mit ihrem Bruder Karl das Familienunternehmen geerbt hatte, nie einen Hehl aus ihrer antifaschistischen Überzeugung gemacht hatte.

Mit der Studie beauftragt wurde das Historikerteam vom Unternehmen selbst, das zudem die Finanzierung übernahm. Fast 500.000 Euro wurden vor allem für Sach- und Personalkosten aufgewendet.  In mehrere Problemstränge gegliedert, stellt das Buch dar, wie ein Unternehmer die ihm anvertraute Firma mit Geschick und Weitsicht führte und sich dabei nicht scheute, die Gelegenheiten und Chancen zu ergreifen, die ihm der Nationalsozialismus und die Kriegswirtschaft boten. Nach immerhin fast dreijähriger Internierung kehrte Karl Schmitz-Scholl jun. an die Spitze von Tengelmann zurück, inzwischen als Mitläufer eingestuft und so entlastet. Die Zeiten als SS-Mann und „Wehrwirtschaftsführer“ wurden später nicht mehr erwähnt.

Bibliographische Angaben: Lutz Niethammer (Hg.) „Tengelmann im Dritten Reich: Ein Unternehmen des Lebensmittelhandels und der Nationalsozialismus“, Klartext-Verlag, Essen 2020, 752 Seiten, zahlr. teils farb. Abb., 24,95 Euro, ISBN 978-3-8375-1223-6

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Info, FSU Jena // Vivien Busse

Foto: Unternehmensarchiv Tengelmann